Schindel klieben / spalten
Dipl.-Ing. Siegfried Ellmauer
Veröffentlicht am 10.02.2024
Das Wissen um die Holzschindelerzeugung ist ein über dreitausend Jahre altes traditionelles Handwerk der Bergbauern und Waldarbeiter. Holzschindeldächer sind besondere Blickfänger in der Landschaft. Die Arbeit des „Schindel kliabn’s“ ist seit unzähligen Generationen tradiert; sie wird von Alm- und Bergbauern, Waldarbeitern und Zimmerleuten ausgeübt. Holzschindel sind ein weitverbreitetes, altbewährtes, umweltfreundliches Deckungsmaterial für Dach und Wand mit einem geringen ökologischen Fußabdruck. Im Laufe der Jahrhunderte kaum verändert, wird das Handwerk bis in die Gegenwart an jüngere Generationen immer noch weitergegeben.
Holzschindel – ein 3000-jähriges Kulturerbe der Kelten
Das Holzschindeldach ist in Österreich über 3000 Jahre alt und bis in die Gegenwart nachweisbar. Schon die keltischen Bergleute vom Stamm der Halauner beherrschten die Technik des „Schindel kliebens“ in der späten Bronzezeit, wie die Funde von in Tonböden konservierten Fichten und Lärchenschindel am Hallstätter Salzberg eindrucksvoll bezeugen. Dabei wird die urtümliche Art der Holzbearbeitung, das Spalten des Stammes in seiner Längsrichtung mit einem speziellen Handwerkszeug, dem Schindeleisen auch Glenseisen (von mhd. kleuzen = spalten) angewandt. Die Kunst liegt nicht nur im ausgeübten Handwerk, sondern auch in der richtigen Auswahl des Baumstammes, der Holzarten und der Bestimmung des richtigen Fällzeitpunktes. Die Arbeit der Schindelmacher hat sich im Laufe der Jahrhunderte wenig verändert und lebt im überlieferten, lokalen Erfahrungswissen der Urberufsstände der Bauern, Holzfäller und Zimmerleute weiter.
Regionale Macharten: Alpenschindel, Nutschindel, windische Schindel
Beim Schindelmachen, oftmals im Winter als Heimarbeit, gelten eine Vielzahl von Arbeitsregeln, wobei es österreichweit zu regionalen Eigenheiten bei der Spalttechnik und Endfertigung kommt, die sich in unterschiedlichen Schindelformen äußert. So gibt es z. B. Kurz- oder Langschindel, Spanschindel mit stehenden Jahrringen (= Rift 60 – 90°) – die verbreitetste Form von Tirol bis Oberösterreich – oder Brettschindel (Flader 0 – 30°) mit liegenden Jahrringen wie im Salzburger Lungau. In Südkärnten und Slowenien hingegen sind keilige Rückenschindel, im Wienerwald und Böhmerwald sogar aufwendig genutete Steckschindel für Steildächer und im Bregenzerwald und Innviertel zierlich kleine Schuppenschindel für Fassaden von Bauernhöfen regionaltypisch.
Mündliche Weitergabe des Handwerkswissens beim Schindelklieben
Die identitätsstiftende Handwerkskunst wird von erdverbundenen Alm- und Waldbauern, Forstarbeitern (Holzknechten) und Zimmerleuten seit vielen Generationen innerhalb der Familie weitergegeben. Beim gemeinsamen Arbeiten wird das Wissen rund um das fachgerechte Spalten und richtige Dachdecken an die Jüngeren achtsam weitergereicht. Sprachlich gesehen stammt der altbewährte Dialektausdruck „Schindel kliabn“ vom abgeleiteten lateinischen Wort „scindula“ (= Schindel), althochdeutsch „scintula“ und dem altbayrischen Ausdruck „klieben“ für Spalten ab.
Holzschindel – höchst ökologischer Baustoff für Dach und Wand
Die Holzschindel zeichnen sich durch ihren geringen ökologischen Fußabdruck aus. Sie sind ein langlebiges und reparaturfreundliches Naturprodukt für Dächer und Wandverkleidungen, die in der Entsorgung keine Umweltbelastung darstellen. Können sie doch am Ende ihrer Lebensdauer vom Dach abgenommen, getrocknet und als Heizmaterial verwendet werden; so schließt sich der natürliche Kreislauf. Wegen der Umweltfreundlichkeit werden Holzschindel gerne in Nationalparks und Naturschutzgebieten als Baustoff verwendet und geben den Einheimischen Arbeit. Außerdem strahlen sie als Baumaterial eine besondere Ästhetik, Naturverbundenheit und Einklang mit der Landschaft aus. Es gelingt in der modernen Baukultur, die architektonische Zukunft mit dem Schindelholz-Kulturerbe der Vorfahren harmonisch zu verbinden, wie viele Neubauten mit Schindelmantel an den Fassaden in ihrem optischen Erscheinungsbild verschönert werden.
Hochmechanisierte Schindelwerke – Gefahr für die Handwerkskunst
Aus Kostengründen werden heute in der Produktion zunehmend hydraulische Spaltmaschinen eingesetzt und das alte Handwerk mit dem Schindeleisen aus Zeitgründen in den Schatten gestellt. Auch wurden die traditionellen „österreichischen Alpenschindel“ aus Lärchenholz durch Importe von hochmechanisiert erzeugten Holzschindeln aus Kanada und USA (Red Cedar), Russland (Sibirien) und Osteuropa (Tschechien, Südpolen, Slowakei) seit Ende des 20. Jhd. verdrängt.
Schindelholz-Kurse in Forstschulen, Präsentation bei Handwerksfesten
Um das traditionelle Handwerk zu fördern, gibt es die raren Kurse zum Schindelmachen an den forstlichen Ausbildungsstätten, 2024 erstmals auch am neugebauten Forstcampus Traunkirchen im Salzkammergut. Um die Holzschindel im städtischen Bereich wieder bekannter zu machen, dienen diverse Veranstaltungen zum Waldkulturerbe. Bei Holzmärkten, Festen zum alten Holzhandwerk, Holzbaumessen, Forst- und Almwirtschaftstagungen oder Adventsmärkten kann die Bedeutung der reichhaltigen Schindelholztradition in Österreich wieder vermehrt gezeigt und von Besuchern hautnah erlebt werden. Der Verein Forst & Kultur ist dabei ein wichtiger Partner.
Auszeichnung für Schindler – Aufnahme in nationale Liste der UNESCO
Es ist nun gelungen, das gefährdete bäuerliche Holzschindelhandwerk in die nationale Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO zu verankern. Mein umfangreiches Ansuchen wurde am 04.12.2023 von der österreichischen UNESCO Kommission in Wien einstimmig angenommen. Das Vermächtnis der nicht mehr unter uns weilenden alten Schindelmeister soll allen am Schindelhandwerk Interessierten für Dach und Auftrag für eine Wiederbelebung dieses 3000-jährigen Kulturerbes sein!
Der Sinnspruch des deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss (1884–1963): „Das Wort HOLZ ist kurz und bündig, doch dahinter verbirgt sich eine einzigartige Welt voll Wunder und Märchen“, trifft dabei für das vielfältige Wissen um die Holzschindelerzeugung in besonderem Maße zu!
Kontakt
Dipl.-Ing. Siegfried Ellmauer
Berghof Thurnergut
Oberweng 26
4582 Spital am Pyhrn
Mobil: 0664 / 4684843
siegfried.ellmauer@ooe.gv.at
In Oberösterreich wird der Schindelholzkultur auf Almen größte Wertschätzung entgegengebracht. Bereits seit 1995 gibt es die agrarische „Förderaktion Holzdächer für oö. Almen“, bei der Almbauern für die Wahl eines neuen Holzschindeldaches über 50 % Baukostenzuschuss aus Landesmitteln erhalten. Als großer Erfolg für die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer umweltfreundlichen alpinen Dachlandschaft in Oberösterreich konnten in den letzten 30 Jahren mehr als 3⁄4 aller Neueindeckungen mit Holzschindeln bewerkstelligt werden. Viele Dächer wurden dabei im Auftrag der Bauwerber in Heimarbeit von österreichischen Almund Waldbauern aus dem alpinen Raum in der Winterzeit erzeugt, womit die Wertschöpfung beim Alm- und Forstwirt im eigenen Land bleibt. Diese wichtige Förderaktion zeigt eindrucksvoll die Bedeutung der öffentlichen Hand für den Erhaltung der Handwerkstechnik und des Wissens um das Kulturerbe der „Holzschindelerzeugung“ im ländlichen Raum auf!