Bau einer historischen Kragkuppel in Obernhof
Frank Böwingloh
Veröffentlicht am 14.09.2023
Im Flurbereinigungsverfahren Obernhof-Weinähr an der Lahn (Rhein-Lahn-Kreis, Rheinland-Pfalz) wurden große Flächen historischer Weinbauflächen freigestellt, saniert oder wieder aufgebaut. Neben Mauerrelikten kamen auch viele Ruinen der ehemaligen Wingerthütten zum Vorschein. In Zusammenarbeit zwischen dem Naturpark, Ortsgemeinde Obernhof und der Flurbereinigung wurden daraufhin diese Gebäude kartiert, eingemessen und weiter historisch aufgearbeitet. Insgesamt konnten in beiden Gemarkungen ca. 40 Gebäude in überwiegender Trockenmauerbauweise erfasst werden. Ihre Entstehungsgeschichte ist auf die 1920/1930 Jahre festgehalten.
Zwei dieser heute in den Grundmauern noch erhaltenen Hütten wird ein Entstehungsjahr aus der zweiten Hälfte des 20-zigsten Jahrhunderts zugeordnet. Sie dienten dem s.g. Wingertschützen oder Flurwächter als Unterstand, der u. a. Traubendiebstähle verhindern und Vögel vertreiben sollte. Einer dieser Hütten entstand in den 1860er-Jahren im Zusammenhang mit dem heute noch vorhandenen ältesten Terrassenweinberg in Oberhof. Es wird hier eine für das Lahntal außergewöhnliche Baukonstruktion mit einem Kragkuppeldach aus Stein ohne Mörtel vermutet.
Damit ist diese Hütte eines der ältesten bekannten Gebäude im Weinberg um Obernhof und Weinähr und ein überregional wertvolles Aushängeschild für die Geschichte des Weinbaus an der Lahn.
Mit dem Wiederaufbau möchte die Ortsgemeinde Obernhof diese historische Stätte direkt am Premiumwanderweg „LahnWeinStieg“ als Wanderschutzhütte wieder touristisch erlebbar machen. Gleichzeitig wird durch die besondere Bauart der Hütte in Trockenmauerbauweise mit vielen Lücken und Spalten zwischen den Steinen ein Lebensraum für beispielsweise Mauereidechsen geschaffen.
Der Wiederaufbau der Wingertschützhütte konnte mit finanzieller Unterstützung durch den Naturpark Nassau, der Ortsgemeinde und der planerisch organisatorischen Unterstützung durch die Flurbereinigung in der ersten Jahreshälfte 2023 umgesetzt werden. Zumeist an den Wochenenden wurde Stein auf Stein von 25 freiwilligen zumeist erfahrenden Trockenmauerbauer und Zuhelfern aus der Region gesetzt, bis die über zwei Meter hohe Grundmauer fertiggestellt war. Gebaut wurde ohne größeren Maschineneinsatz.
In der ersten Maiwoche wurde dann der Dachbau in Kragkuppelbauweise von zwei Trainern der Trockensteinmauer-Schule Österreichs (Rainer Vogler und Martin Skos) angeleitet. Auch hier wurde auf den Einsatz von Maschinen fast komplett verzichtet. Über eine Rampe wurden teilweise bis zu 320 Kilogramm schwere Steine, sozusagen in Pyramidenbau-Manier, auf eine Höhe von über drei Metern gehievt.
Es entstand so ein in den Außenmaßen 4 × 4 m großes Steingebäude mit einer runden Kuppel und einer durchschnittlichen Mauerstärke von 80 cm, im Kuppelbereich bis zu 1 m. Der Innenraum der Kuppel erzielt eine Höhe von 3,77 m. Das Gebäude wird vom anstehenden Fels von zwei Seiten gestützt, nur zwei Seiten bestehen aus einem zweihäuptigen Mauerwerk. Die Grundmauern stehen auf dem freigelegten Fels.
Durch die örtlich anstehende plattige bzw. schiefrige Grauwacke zeigt sich traditionell im „Gesicht“ die regionaltypische Trockenmauer als „Fischmuster“ mit nur wenigen flachen Auflagemöglichkeiten. Für die Erbauer der Hütte immer wieder eine tägliche Herausforderung. Es wurde ausschließlich historisches Steinmaterial verwendet, das bei der Sanierung oder beim Wiederaufbau der Weinbergsmauern in der Flurbereinigung keine Verwendung mehr fand.
Am Ende waren es in 1.400 Helferstunden circa 85 Tonnen Steine, die alle per Hand geschleppt und gesetzt wurden. Es wird davon ausgegangen, dass solch ein Bauwerk in der Bundesrepublik Deutschland, in der Art und Weise, also ohne Verschalung, frei gemauert und ohne den Einsatz von Mörtel bzw. Verputz, wahrscheinlich seit 100 Jahren nicht mehr gebaut worden ist. Das Projekt zeigt das hohe Engagement der Menschen vor Ort für die Weinbautradition und hebt das Projekt gleichzeitig als Meilenstein in der Bewahrung dieser alten Handwerkskunst hervor.