Internationaler Kongress & Workshop in Provence
Rainer Vogler
Veröffentlicht am 05.02.2024
Zum 18. Mal fand von 2. – 8. Oktober 2023 der biennal getaktete Internationale Kongress Trockensteinmauern der SPS (La Société scientifique internationale pour l’étude pluridisciplinaire de la Pierre Sèche) in Goult (departement Vaucluse in der Provence, Frankreich) statt. Obwohl seit 2002 über Aktivitäten der SPS informiert und mit deren Akteuren seit knapp 10 Jahren in Kontakt, nahmen vier Vertreter aus Österreich heuer erstmals am Kongress teil. Helmut Schieder von der Gartenbauschule Langenlois und Rainer Vogler von der Wein- & Obstbauschule Krems konnten diese Weiterbildung im Zuge eines Staff Mobility Erasmus+ Projekts von EUROEPA Austria besuchen; die beiden Trainer Christian Göbel und Norbert Haase waren zwei weitere Repräsentanten der Trockensteinmauernschule Österreich.
Von Montag bis Donnerstag waren 16 ausgewählte TSM-Profis für einen gemeinsamen Praxisworkshop mit Professionalisten der Les Muraillers de Provence geladen. Die Location zeigte bereits einen Teil davon, was die Region historischan TSM-Schätzen bieten kann: der Weg zur gemeinsamen Baustelle führte durch die Altstadt mit teilweise auf Felsen erbauten Steinhäusern vorbeian der Jerusalem-Mühle, hinter der eine freistehende Mauer mit Tür, Bienenkorbnischen und als besondere Herausforderung mit beidseitiger Anbindung an die historischen TSM errichtet wurden.
Ging man den Weg weiter, wieder hangabwärts an der südlichen Bergseite, erreichte man nach wenigen hundert Metern eine alte Terrassenanlage, deren Mauern vor etwa 25 Jahren von Bewuchs befreit, dann saniert und als öffentlicher Schauweg ausgewiesen wurden. Dort fanden wir die ersten „Bories“, die Kragkuppelhütten der Provence, einen davon in beeindruckender Größe.
Gearbeitet wurde mit teilweise relativ brüchigem und teilweise an den Lagerseiten rundlichem Sandstein. Das Material aus der alten Mauer war eher geradkantig, aber sehr weich, während das laufend nachgelieferte Baumaterial zwar härter war, aber mehr „buckelige“ Lagerseiten aufwies, was mehr Steinbearbeitung erforderlich machte.
Aus organisatorischer Sicht vorbildlich war die Vorsortierung der abgetragenen alten Steine. Aus technischer Sicht war im Groben wenig Neues für uns dabei, trotz hochbelastbarer Bauten im Infrastrukturbereich, die von den Les Muraillers de Provence seit Jahrzehnten errichtet werden, bleibt die Grundtechnik gleich. Wertvoll hingegen war der intensive Austausch im Detail, für den dank gut dreieinhalb Werktagen ausreichend Zeit blieb. Wir lernten dabei Profis aus Belgien, Bulgarien, Zypern, Großbritannien, der Schweiz und natürlich Frankreich kennen. Zu immerhin fünf Nationen davon hatten wir bisher keinerlei handwerklichen Kontakt, und auch aus den anderen Ländern waren uns die konkreten Trockensteinmaurer unbekannt.
Die gemeinsamen Abendessen trotz unterschiedlicher Unterbringungsorte förderten den intensiven Austausch in der noch kleinen Gruppe von Handwerksprofis.
Der wissenschaftliche Kongress Freitag und Samstag war von einem Video-Room und einer Poster-Ausstellung umrahmt. 29 Vorträge mit einer Dauer von je 20 Minuten, gegliedert in vier Sessions, wurden simultan in Englisch und Französisch übersetzt und überzeugten von professionellen Inhalten und ebensolcher Organisation des Kongresses. Nach jeder Session fand eine Fragerunde statt. Zusätzlich fand am Samstagvormittag die Generalversammlung der SPS statt, im Zuge derer Österreich als nächster Kongressort für 2025 ausgewählt wurde. Jeder Poster-Beitrag in der Ausstellung im Nebengebäude des Gemeindesaals von Goult konnte sein Poster bzw. seine Organisation außerdem in einer fünfminütigen Präsentation vor dem Plenum erläutern.
Die Abstracts der Vorträge sowie die Beschreibung der Poster und der Filme finden sich im pdf-Anhang zu diesem Bericht, der die Tagungsunterlage für die Teilnehmer ist. Die vier Filmbeiträge aus Österreich sind, original in Deutsch sowie jeweils mit Untertiteln in englischer, französischer und griechischer Version, auf www.agrovideos.at, Menü Stein, einzusehen.
Die Kongressteilnehmer für die zweitägige wissenschaftliche Veranstaltung bzw. den darauffolgenden Exkursionstag fand am Donnerstag von 14.00– 17.00 Uhr statt, während wir die letzten Arbeiten und Aufräumarbeiten an der Mauer vornahmen. Um 17.00 waren alle rund 140 Kongressteilnehmer an der Baustelle zur feierlichen Begrüßung versammelt.
Bleibende Eindrücke bei den Fachreferaten waren die Möglichkeiten zur Regulierung des Wasserhaushalts (sei es wie auf Lanzarote zur Nutzung des Verdunstungswassers an TSM für Bewässerung oder zur Kanalisation von Niederschlagswasser in Süditalien), die über 3000 Jahre alten Dragon Houses in Griechenland oder die Events und pädagogischen Maßnahmen in Slowenien. Von letzteren lernten wir außer dem „Steinmarathon“-Event mit rund 150 Kindern als Öffentlichkeitsarbeit auch ein ganzes Buch mit pädagogischen Spielen für Kinder von 1 bis 10 Jahren kennen, das exakt an die slowenischen Lehrpläne der entsprechenden Schul- bzw. Kindergartenstufe angepasst ist, kennen.
Den Tagungsabschluss bildete eine Fachexkursion am Sonntag, die mit rund 90 Teilnehmern überbucht war und hinsichtlich des Transports eine organisatorische Herausforderung bildete. Umso bereichernder waren die Exkursionsziele, entweder in inhaltlicher oder bautechnischer Hinsicht:
Die Firma Gravesud lud zum Outdoor-Frühstück in einen kleinen Steinbruch nordöstlich von Goult. Dabei handelt es sich um einen ehemals aufgelassenen Steinbruch, der für regionale Zwecke und mit untergeordnetem wirtschaftlichen Interesse wieder in Betrieb genommen wurde. Diese Erklärung klingt angesichts des Preises von rund 80,– € pro Tonne für die vorgefundene Qualität des Sandsteines, angesichts der Größe des Steinbruchs und der Größe der Betreiberfirma, die auch andere Sparten außer Steinbrüchen betreibt, sehr glaubwürdig. Genau dies wäre in Österreich für regionales Bauen mit Stein, sehr sinnvoll. Dieser Ansatz wird von der Erklärung eines Biologen, dass das „Aufreißen“ eines kleinen Steinbruchs nach etwa 20 – 30 Jahren für die Biodiversität und den Biotop bereichernd ist, weil ansonsten die im ehemaligen Steinbruch zu findenden mineralischen Lebensräume bereits von Vegetation (wie sie ja ausreichend im Umfeld zu finden ist) überwuchert werden und verloren gehen, unterstrichen. Das hieße, dass nicht nur Gründe der Nachhaltigkeit, der regionalen Wertschöpfung, des geringen ökologischen Fußabdrucks, sondern auch die Biodiversität für die regionale Nutzungsgenehmigung von kleinen Steinbrüchen sprechen!
Die zahlreichen „Bories“ im Departement Vaucluse sind in Fachkreisen hinlänglich bekannt und zahlreiche Bilder dazu findet man sehr leicht im Internet. Wie viele dieser Kragkuppelhütten mit teilweise bis zu 20 m² Innenraum sind auf engen Raum finden, beeindruckte uns trotzdem. Die große Gruppe hielt für rund 1½ Stunden im Gelände, und bei raschem Durchstreifen des teilweise verbuschten Geländes fanden wir mit den offiziell mit der Gruppe besuchten Bories insgesamt mindestens 10 solcher Bauwerke.
Die letzten beiden Besichtigungen nach dem mittäglichen Picknick-Empfang beim Bürgermeister von Saignon bildeten Besichtigungen von Stützmauern für Straßen in Saignon und anschließend in Les Agnels. Obwohl wir bereits bei den Vorträgen technische Informationen und Bilder der Straßenstützmauern, welche in den letzten Jahrzehnten von den Les Muraillers de Provence erbaut wurden, bekamen, war die Feldbesichtigung eine bereichernde Erfahrung.
In Saignon sahen wir eine rund 150 m lange, völlig neu erbaute Mauer mit einer Höhe von 1,80 – 2,60 m, wo der letzte Bauabschnitt noch gerade in Arbeit ist: 50 % Mauertiefe exakt ausgelegt, alle Bauregeln mit Bindern, Lagerseiten, Fugenbild perfekt eingehalten, zeugen von der Übung der Handwerker und der Bauleiter.
In Les Agnels wurde ein Stück verfallener Mauer, erbaut um rund 1870, neu gemacht. Das wäre nichts besonders, würde es sich nicht um eine mehr als 3,5 m hohe Mauern handeln, auf der mit weniger als einem Meter Versatz ein weiterer Mauerteil mit rund 3 m Höhe als Stützmauer und darauf ca. 80 cm hoch als freistehende Mauer, welche die Straße vom Abhang abgrenzt, stehen würde. Das heißt, die Gesamtkonstruktion ist über 7 m hoch. Bei der Diskussion der Mauerdicke stellte sich heraus, dass die Mauer bis etwa 30 cm tief UNTER den oberen bestehenden Mauerteil ausgenommen wurde und damit die untere Mauer bis unter die obere Mauer erbaut wurde. Eine technische Meisterleistung, bei der nur die halbe Straße, die von der Mauer getragen wird, während der mehrwöchigen Bauzeit gesperrt wurde.
Der feierliche Abschlussabend des Kongresses fand im Mühlensaal des Dorfes Cheval Blanc statt. Für Umrahmung des Abendessens mit ausreichend fachlichen Gesprächen und letzten Kontaktmöglichkeiten der doch zahlreichen Teilnehmer aus unterschiedlichen Fachbereichen (beispielsweise Handwerk, Kulturerbe, Geschichte, Architektur, Hydrologie, Geologie, Anthropologie) sorgte ein Männerchor mit Musikstücken aus mehreren Nationen.
Wir österreichische Vertreter erhielten dabei symbolisch den Stein für den Kongress 2025 überreicht. Dessen Gewicht hätte jedoch für Übergewicht beim Fluggepäck gesorgt – und so landete der Kongressstein im Firmenauto unseres neuen belgischen Freundes Olivier, der ihn uns zum Stein & Wein Festival im Juni 2024 mitbringt – eine erste Folge unseres neuen Netzwerkes bereits bevor die Tagung zu Ende ging.
Für eine maximal nachhaltige, regionale Wertschöpfung sollen kleine Steinbrüche ausschließlich für den lokalen Bedarf wieder in Betrieb genommen werden. Der Vorteil des geringen ökologischen Fußabdrucks steht außer Zweifel. Der Kritik des Eingriffes in das lokale Habitat steht die Überlegung entgegen, dass der kleine mineralische Lebensraum nicht zuwächst und damit die Biotopvielfalt bereichert.
TSM machen in mehr Bereichen Sinn, als wir glauben. Bestehen geschulte Arbeitsteams, können TSM neben allen anderen Vorteilen auch die billigste Bauform sein: Straßenbefestigungen, Radwege, Wanderwege, Strukturelemente im Siedlungsbau,…?